"Bitte bremsen Sie die Pflege nicht aus!" So lautete der eindringliche Appell der drei Caritasdirektorinnen Stefanie Siebelhoff (Essen), Esther van Bebber (Paderborn) und Pia Stapel (Münster) bei der Übergabe der Resolution an den Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe, Klaus Baumann, und LWL-Direktor Georg Lunemann (von rechts).Foto: Juliane Büker / Caritas für das Bistum Münster
Münster / Paderborn Akten, Akten, Akten - Auf einem Bett vor dem Landeshaus des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Münster stapeln sich Aktenordner. Platz für einen pflegebedürftigen Menschen auf dem Bett: Fehlanzeige. Mit dieser bildstarken Protestaktion haben die Diözesan-Caritasverbände Essen, Münster und Paderborn darauf aufmerksam gemacht, dass die Versorgungssicherheit in der Altenhilfe nicht mehr gewährleistet werden kann. Ein wesentlicher Grund dafür ist der Verhandlungs- und Bearbeitungsstau beim LWL.
Rund 500 Mitarbeitende der Caritas haben sich am 22. März am Protestmarsch durch Münster und an der Demonstration vor dem LWL beteiligt. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Caritas im Erzbistum Paderborn waren dazu nach Münster gereist, um auf den unhaltbaren Zustand in der Pflege hinzuweisen. "Die Hängepartie bei den Verhandlungen ist zur Existenz-Bedrohung für die Einrichtungen und Dienste in der Altenhilfe geworden", warnt die Paderborner Diözesan-Caritasdirektorin Esther van Bebber, die an der Aktion in Münster teilnahm. "Wir müssen alles tun, damit hilfebedürftige Menschen auch in Zukunft Pflege und andere Hilfen zeitnah und mit Planungssicherheit erhalten können."
Rund 500 Mitarbeitende der Caritas, auch aus dem Erzbistum Paderborn, haben in Münsters Innenstadt für die Versorgungssicherheit in der Pflege demonstriert.Foto: Juliane Büker / Caritas für das Bistum Münster
Bei der Demonstration unter dem Motto "Bearbeitungsstau bremst Pflege aus!" sagte Diözesan-Caritasdirektor Dominique Hopfenzitz aus Münster, viele Träger in der Sozialwirtschaft stünden finanziell und personell unter hohem Druck. "Schleichend werden Plätze in der Altenhilfe, den Krankenhäusern und den Einrichtungen der Eingliederungshilfe abgebaut, teilweise geschlossen, oder es gehen ganze Einrichtungen insolvent. Die Altenhilfe steht vor dem Kollaps. Als caritative Leistungserbringer machen wir uns daher große Sorgen über die Versorgungssicherheit im Bereich Gesundheit und Soziales", betonte Hopfenzitz. Zusätzlich zur oft nicht mehr umsetzbaren Vollauslastung vieler Einrichtungen aufgrund des Personalmangels gerate die stationäre Altenhilfe erheblich unter finanziellen Druck.
Die Diözesan-Caritasdirektoren Esther van Bebber (Paderborn), Dominique Hopfenzitz (Münster), Pia Stapel (Münster) und Stefanie Siebelhoff (Essen) fordern vom LWL in Münster die Auflösung des Bürokratiestaus.Foto: Juliane Büker / Caritas für das Bistum Münster
Die Diözesan-Caritasdirektorinnen Esther van Bebber sowie Stefanie Siebelhoff (Essen) und Pia Stapel (Münster) überreichten dem Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe, Klaus Baumann, eine Resolution zum Bearbeitungsstau in den Entgeltverhandlungen, in der es heißt: "Wir unterbrechen heute ihre Sitzung, weil die Einrichtungen der stationären Altenhilfe im Landesteil Westfalen-Lippe mit Blick auf ihre wirtschaftliche Situation immer mehr mit dem Rücken zur Wand stehen." Das betreffe nicht nur die Caritas, sondern die gesamte Freie Wohlfahrtspflege und auch die privaten Anbieter. Ihr Appell: "Wenn Sie die Versorgungssicherheit für die pflegebedürftigen Menschen im Landesteil Westfalen-Lippe gewährleisten wollen, müssen Sie jetzt handeln."
Wegen des Bearbeitungsstaus von 343 Fällen im Landesteil Westfalen-Lippe (Stand: 15. Januar 2024) tragen die Pflegesätze die gestiegenen Personalkosten, Energiekostensteigerungen und die hohe Inflation nicht mehr. "In den Einrichtungen wächst die Liquiditätslücke auf Grund der noch geltenden veralteten Entgelte teilweise dramatisch. Die Personal- und Sachkosten steigen derweil weiter an", heißt es in der Resolution. "In den Einrichtungen werden Bewohnerinnen und Bewohner aufgenommen, ohne dass ihnen gesagt werden kann, was ihr Pflegeplatz sie kostet." Das löse eine große Unsicherheit aus.
Die Diözesan-Caritasdirektorinnen forderten deshalb vom Landschaftsausschuss, "dass die Bürokratie der Entgeltverhandlungen unverzüglich und grundlegend verschlankt wird, damit zukünftig eingereichte Kalkulationen fristgerecht abgearbeitet werden können und kein neuer Bearbeitungsstau entsteht". Das Land habe darüber hinaus durch seine Gesetzgebung seit Jahren erheblich zu weiteren bürokratischen Hürden und Unklarheiten beigetragen. "Daher fordern wir den LWL, den LVR und die Verbände der Pflegekassen auf, gemeinsam mit den Leistungserbringern an die Gesetzgebung heranzutreten, um diese Bürokratie unverzüglich zu verschlanken, so dass hilfebedürftige Menschen auch in Zukunft Pflege und andere Hilfen zeitnah und mit Planungssicherheit erhalten können", so die Diözesan-Caritasdirektorinnen.
Neben der zentralen Protestaktion vor dem LWL in Münster haben zeitgleich zahlreiche dezentrale Aktionen in den (Erz-)Bistümern Essen, Münster und Paderborn stattgefunden. Das Bild war immer dasselbe: Weitere mit Aktenordnern gefüllte Pflegebetten vor den 477 Altenheimen der Caritas. Zudem flatterte an zahlreichen Autos der 265 ambulanten Dienste der Caritas Absperrband oder Trauerflor als Zeichen dafür, dass schon bald vielleicht die Versorgung der alten Menschen nicht mehr gewährleistet ist.